Datum:
05.07.2002
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Zeitung:
Berliner Zeitung
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Titel:
"Ich habe geschossen"
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"Ich habe geschossen"
Prozess gegen Revolutionäre Zellen: Überraschungszeugin
gesteht Attentat
Im Prozess um Terroranschläge der Revolutionären Zellen
hat sich eine Zeugin jetzt überraschend selbst belastet. 16
Jahre nach dem Anschlag auf den damaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde,
Harald Hollenberg, bezichtigte sich die heute 63 Jahre alte Frau
am Donnerstag selbst der Tat. Es war, sagt die Zeugin W., eine Frage
der Gleichberechtigung. "Ich wollte schießen, weil Frauen
in der Regel nicht so viel zugetraut wird." Hollenberg trafen zwei
Kugeln in die Beine. Zu dem Anschlag hatte sich damals die terroristische
Vereinigung Revolutionäre Zellen (RZ) bekannt.
Kronzeuge in Frage gestellt
Die Zeugin W. ist weder angeklagt, noch läuft im Zusammenhang
mit den RZ ein Ermittlungsverfahren gegen sie. Die Verteidigung
der Angeklagten hat die Zeugin präsentiert und damit die Glaubwürdigkeit
des Kronzeugen der Bundesanwaltschaft ein großes Stück
in Frage gestellt. Er, ein Karatelehrer und abtrünniges RZ-Mitglied,
hatte angegeben, dass die Angeklagte Sabine Eckle auf Hollenberg
geschossen hat.
Aus Sicht der Bundesanwälte waren der Angeklagte Rudolf Schindler
und seine Frau Eckle die führenden Köpfe der RZ. Der heute
59-jährige Schindler steht seit Mai 2001 wegen Rädelsführerschaft
in einer terroristischen Vereinigung vor dem Berliner Kammergericht.
Mit ihm sind Eckle und drei weitere mutmaßliche Terroristen
angeklagt. Inzwischen sitzt keiner von ihnen mehr in Haft.
Schindler selbst gab vor Gericht die Schüsse auf den Vorsitzenden
Richter am Bundesverwaltungsgericht Günter Korbmacher zu -
dieser wurde 1987 ebenfalls in die Beine geschossen. Zu dem Anschlag
auf Hollenberg hatte er nur erklärt, mit dem Schützen
zum Tatort gefahren zu sein. "Es war eine Frau." Die Zeugin sagte
am Donnerstag, sie habe sich lange mit einer Aussage schwer getan.
Sie habe sich schließlich dazu entschlossen, weil sie nicht
ertragen konnte, "dass andere einer Sache beschuldigt werden, die
ich getan und zu verantworten habe".
Tat ist verjährt
Für ihr Geständnis können die Bundesanwälte
sie allerdings nicht mehr belangen. Inzwischen ist die von der Zeugin
W. eingeräumte Tat verjährt.
Die Zeugin hat als Sozialarbeiterin früher in Kreuzberg und
Neukölln drogenabhängige und sexuell missbrauchte Jugendliche
betreut und eine Zeitlang auch als Beamtin im Bezirksamt und der
Senatsverwaltung gearbeitet.
Sabine Deckwerth
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